Wagner Group

Wagner Helicopter-Technik: Ein Traum wird Realität

Parallel zu seinem aufstrebenden Spritzgeräte-Unternehmen geht Josef Wagner Anfang der 1960er Jahre daran, seine Vision eines „Volkshubschraubers“ zu verwirklichen: klein soll er sein, einfach zu fliegen, vergleichsweise preisgünstig und zudem fähig, sich auch auf der Straße als Auto fortzubewegen. 

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Was den Ausschlag für den Entschluss gab, einen Hubschrauber zu entwickeln, ist ungewiss. Ob es seine alte Leidenschaft für die Flugzeugtechnik war – immerhin hatte er Flugzeugtechnik studiert und vor dem 2. Weltkrieg eine erste Karriere im Flugzeugbau bis hin zum technischen Direktor eines Flugzeugwerks gemacht - ob es der aktuelle Anlass war, als ihm der befreundete Hubschrauberpilot Josef Maier von seiner speziellen Sternmotorentwicklung erzählte, die er selbst nicht finanzieren könne, oder ob es der Reiz war, sich als kleiner, nicht einschlägig tätiger Unternehmer im technischen Wettstreit mit den bekannten Herstellern Dornier, Fokke Wulf oder Messerschmitt zu messen, die alle an der Entwicklung eines Hubschraubers arbeiteten – Josef Wagner begann das, was man heute ein Start-up nennen würde, und gründet die Wagner Helicopter-Technik (WHT). 

In einem alten Bauernhof schart er ab 1961 einen kleinen Kreis qualifizierter Mitarbeiter um sich, die mit der Entwicklung des neuen Helikopters beginnen. Eines der ersten Hubschraubermodelle namens „Rotocar III“, eine Weiterentwicklung der Versuchsbauten Rotocar I und II, soll ein fliegendes Volksauto werden. Die wesentlichen Komponenten sind der von Josef Wagners Freund Josef Maier entwickelte Sternmotor, eine Zweisitzer-Kabine auf vier Rädern mit Goggomotor, der bis zu 35 km/h erlaubt, und der koaxiale Antrieb mit zwei übereinander angeordneten, doppelflügeligen und sich gegenläufig drehenden Rotoren. Zur Fortbewegung am Boden können diese in Fahrtrichtung arretiert werden. Das Design stammt von dem französischen Industrie-Designer Louis L. Lepoix. Bereits 1962 werden die ersten Testflüge am Bodenseeufer absolviert. 

Geniales Konstruktionsprinzip 

Das von Josef Wagner in einem Hubschrauber erstmals verwendete Koaxialsystem verhindert durch die beiden übereinander angeordneten, doppelflügeligen und sich gegenläufig drehenden Rotoren das Drehmoment, das sonst bei herkömmlichen Hubschraubern durch die Rotorenbewegung in nur eine Richtung entsteht. Ein deshalb zur Stabilisierung notwendiger Heckrotor ist bei Wagners Konstruktion nicht nötig. Dies bringt einige Vorteile: der Rumpf des Hubschraubers kann sehr leicht gebaut werden, da kein zusätzlicher Heckrotor benötigt wird, die gesamte Motorleistung steht für eine höhere Nutzlast zur Verfügung und aufgrund der ruhigen Flugeigenschaften verringern sich die Anforderungen an das fliegerische Können der Piloten.  

Eine weitere Besonderheit der Rotocar-Konstruktion: Die Rotorblätter sind direkt auf der Kurbelwelle des Dreizylinder Sternmotors montiert, der so gleichzeitig die Funktion des Rotorkopfes und des Getriebes eines herkömmlichen Hubschraubers übernimmt. Das Umlaufmotor-System wird jedoch verworfen, da sich die Motoren als zu störanfällig erweisen und nicht die erforderliche Leistung erbringen. Stattdessen wird nun ein Antrieb mit konventionellem Motor verwirklicht.  

Die Entwicklung des fliegenden Autos wird zunächst nicht weiterverfolgt. Ein Exemplar des Rotocar III steht heute im Deutschen Hubschraubermuseum in Bückeburg bei Minden. 

Bald mietet Josef Wagner am Flugplatz Friedrichshafen-Löwental einen Teil einer großen Halle. Die Hubschrauberteile werden im WAGNER-Stammwerk in Fischbach gefertigt und dann hier verbaut. 1965 absolviert der erste Prototyp als „Versuchsträger 1“ seinen Jungfernflug und wird ein Jahr später einer verblüfften Fachwelt und der Öffentlichkeit auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) in Hannover vorgestellt. Die folgenden Modelle tragen den Namen „Sky-Trac“ und verweisen auf die Aufgaben, die dem neuen Hubschrauber zugedacht sind. Als Traktor der Lüfte soll der Sky-Trac als Transporthubschrauber, in der Not- und Luftrettung und in der Land-und Forstwirtschaft eingesetzt werden. Erprobt wird auch eine Version mit Schwimmern für die Wasserrettung.  

 Drei Jahre später präsentiert das WHT-Team auf der Raumfahrtausstellung in Vaduz den Prototyp des „Aerocar“: einen viersitziger Reisehubschrauber, der als „fliegendes Auto“ in der regionalen Presse gefeiert wird. Wie beim Vorgänger Rotocar lassen sich die Rotorblätter in Bewegungsrichtung arretieren, so dass der Helikopter dank seiner vier Räder auf der Straße gefahren werden kann. – Eine Eigenschaft, die die Fantasie weckt, denn welcher im Stau feststeckende Autofahrer hat nicht schon einmal davon geträumt, mit seinem Vehikel einfach abzuheben und davon zu fliegen? – Dass die Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h nur dazu reicht, kurze Strecken zu überwinden, tut der Faszination keinen Abbruch.  

Im September 1969 sind Josef Wagner und seine Mannschaft schließlich am Ziel: Der „Sky-Trac I“ erhält als erster deutscher Helikopter die Musterzulassung des Luftfahrtbundesamts in Braunschweig, und dies noch vor den renommierten Flugzeugbauunternehmen! 

Da die Helikopterentwicklung jedoch nicht zum Kerngeschäft der Firma WAGNER gehört, nämlich der Herstellung von Geräten und Anlagen für den Auftrag von Farben und Ähnlichem, sucht Josef Wagner nach einer Lösung für die Hubschrauber-Serienproduktion.1971 gründet er als Mitgesellschafter gemeinsam mit einer Investorengruppe die „Helicopter-Technik München GmbH, Anlagen KG“ (HTM) und übergibt das gesamte Projekt der neuen Geschäftsführung in Feldkirchen bei München. Das Unternehmen entwickelt einen neuen Reisehubschrauber namens „Skyrider“. Marktanalysen versprechen einen Erfolg. 1973 verzeichnet die HTM bereits 122 Bestelloptionen, und 29 Verträge für Skyrider und Sky-Trac stehen vor dem Abschluss.  

Dann jedoch stellt der bisherige Motorenlieferant die Produktion ein, so dass ein neuer Motortyp gesucht und eingebaut werden muss. Die Folgen sind gravierend. Aufgrund seines höheren Gewichts verursacht der Ersatzmotor am Getriebe unterwartete Lagerschäden. Außerdem muss die Musterzulassung neu beantragt werden, da der Motortyp geändert wurde. Gleichzeitig ist die HTM dabei, mehrere Varianten des Reisehubschraubers parallel zu entwickeln. Hinzu kommt eine unseriöse Geschäftsführung. Alles zusammen führt schließlich 1975 zum Ende der HTM. 

Auch wenn die von Josef Wagner und seinem Team entwickelten Hubschrauber nie in Serie produziert worden sind, lebt seine technische herausragende Konstruktionsidee weiter – das Patent für den Koaxial-Antrieb ist von einem kanadischen Unternehmen gekauft worden, das einen Helikopter damit ausrüstet, in Serie produziert und vertreibt.  

Sie möchten noch mehr sehen? Hier gehts zum historischen WAGNER Dokufilm. Der faszinierende, historische Dokumentarfilm zeichnet die Entwicklung der WAGNER-Helikopter nach: Von den Anfängen über erste Prototypen bis hin zu vollen Auftragsbüchern der Nachfolgefirma.